Vom Leitwolf
Der Chef – die Chefin – ist ein „Leitwolf“
Er muss seinem „Rudel“ den Weg zeigen, Sicherheit, Orientierung und Schutz geben. Wenn er vorläuft, um die Gegend – den Markt – zu erkunden, muss er darauf achten, seine Leute nachzuholen. Ich muss zugeben, manchmal war ich zu schnell. Unruhe und Missmut im Team folgten sofort. In diesem Fall hat Krisenbewältigung Vorrang, damit es zu keinem Kollaps kommt.
Der Chef beschützt seine Leute, wenn es sein muss. Ein Beispiel: Wenn eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter am Telefon Auskunft gegeben hatte, so „steht diese“! Sie erinnern sich: Bei S.O.T. waren immer alle über Aufträge und Zeitpläne informiert (Montagsbesprechung!). Manche Kunden wollten dann verärgert den Chef sprechen – nach dem Motto: „Geben Sie mir mal den Chef, dann sehen wir schon weiter!“ Doch meine Antwort war stets: „Wenn meine Mitarbeiterin das sagte, dann aus gutem Grund!“, um ihnen anschließend unsere Philosophie und Vorgehensweise zu erklären.
Der Chef hält sich an Gesagtes. Ein weiteres Beispiel soll demonstrieren, dass Regelwerke für alle gleichermaßen verbindlich und verlässlich sein müssen: Meine Mitarbeiterinnen hatten den Auftrag, alle Anrufe mit der Frage: „Worum geht es bitte?“ zu quittieren. Ein paar findige Verkäufertypen zogen mit der sogenannten Vornamen-Masche ins Feld: Sie fragten ganz jovial und selbstsicher nach „Anton!“. Auf die Frage, worum es denn gehe, meinten sie dann lapidar: „Ach… das ist privat!“ Meine Mitarbeiterinnen hielten sich aber an die vereinbarte Regel, ließen nicht locker und wiederholten: „Worum geht es denn bitte?“ Nun wurde ein nächstes Register gezogen – unfreundliche Ungeduld: „Wir kennen uns privat!“, schwindelten sie: „Also verbinden Sie mich gefälligst weiter!“ „Nein, ohne Ihre Auskunft verbinde ich Sie nicht weiter“, antworteten sie dann, im Wissen, dass ihr Chef hinter ihnen stehen werde.
Die gefestigte Haltung der Mitarbeiterinnen zeigte, wie sehr sich mein Team auf mich verlassen konnte. Sollte es auch vorgekommen sein, dass dieser Jemand tatsächlich ein alter Freund gewesen war, hätte ich dennoch meine Leute nicht ausgespielt, bloßgestellt oder gar beschimpft! Die Regel galt – immer!
Der Chef hinterfragt sein Handeln. Wenn Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter Fehler machen, gilt es nicht nur Kritik zu üben, sondern auch den eigenen Anteil zu erkennen: War meine Botschaft nicht klar? Wurde sie / er zu wenig eingeschult? Wurden Kompetenzen, Grenzen und Reviere nicht deutlich genug abgesteckt und geklärt?
Der Chef vertraut seinen Leuten und traut ihnen etwas zu. Auch wenn Fehler gemacht wurden, so geht es darum, diese zu analysieren und in Folge zu vermeiden, in Fehlern eine Chance zu sehen. Doch der größte Fehler wäre wohl, es NICHT zu tun! Der Chef hat darauf zu achten, dass seine Leute Sinn in ihrer Arbeit finden, indem sie ihren Fähigkeiten entsprechend eingesetzt werden.
Der Chef begeistert und reißt mit! Er weiht sein Team in seine Gedanken, Pläne und Visionen ein und begeistert sie! Wie sollten sie wissen, wie man denkt, fühlt, welches Feuer in einem lodert, wenn man sich nicht mitteilt!
Der Chef motiviert. Wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Freiheit haben, zu denken und ihre Gedanken und Ideen auch äußern dürfen, sind hierarchische Unterschiede aufgehoben und ein kreativer Austausch im Fluss. Wenn der Chef sagen würde: „Kümmere dich um deine eigenen Sachen! Das geht dich nichts an!“, gingen ihm Schätze verloren!
Der Chef achtet seine Leute. Jedes Teammitglied muss wissen, dass es ohne ihn nicht geht, dass Jeder zum Erfolg beigetragen hat. Diese Wertschätzung trägt zum großen Ganzen einer Firmenfamilie bei.
Der Chef hört zu. Inspiriert durch meinen persönlichen Weg und die Erfahrungen während meiner Begleitung führte ich Redestabrunden (später genauer beschrieben) ein. Dabei machte ein Stab die Runde und es galt die Regel: wer ihn hält, ist am Wort und hat die Möglichkeit, über sich selbst zu sprechen, wie es ihm geht, was ihm gut gefällt, was harkt, was er verändern oder verändert haben möchte… In diesen Runden, ebenso wie bei allen Gesprächen, durften sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter immer sicher sein, dass ihre Äußerungen ihnen nicht zum Schaden gereichen würden.
Ein guter Chef pflegt eine Kultur der Kommunikation. Er fragt, wo Sand im Getriebe sei, was zu kritisieren und verändern sei, damit wieder alles reibungslos laufen könne. Ebenso hat Platz, was Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am Herzen liegt, welche ihrer Fähigkeiten sie einbringen möchten und welche Aufgaben ihnen nicht liegen. Und wichtig: Alles ansprechen, was gut läuft! Auch positive Rückmeldungen sich wichtiger Bestandteil der Firmenkommunikation.
Der Chef gibt den Ton an. Der Ton macht die Musik, heißt es so schön. Wie der Chef mit seinen Leuten, seinen Kunden, seinen Mitmenschen redet, spiegelt sich in der Kommunikationskultur seiner Firma wider.
Der Chef weiß, was er kann und was er nicht kann und sich daher holen muss. Der beste Manager, die beste Managerin, ist jener, der ein Auge für Spezialisten hat und alle an einem Strang ziehen lässt! Er wird nicht prahlen und seine eigenen Fähigkeiten hervorheben, sondern sich zurücknehmen und die Botschaft aussenden: „Ohne euch – ohne jeden Einzelnen von euch – hätten wir es nie geschafft!“
Der Chef gibt die Zügel nie aus der Hand, ohne dies vorher besprochen zu haben und einen Kutscher als Vertretung bestellt zu haben. Einmal beriet ich einen Bekannten, der Probleme in seiner Firma hatte. Er fühlte sich ausgelaugt, arbeitete im Außendienst als einsamer Kämpfer und hatte keine Kraft mehr, sich um seine Leute zuhause zu kümmern. Er ließ die Zügel los. Seine Pferde waren plötzlich ohne Führung, jedes zog in eine andere Richtung. Ein Machtvakuum war entstanden, das Chaos perfekt.
Darf man denn als Chef nie schwach sein? Doch, man darf, aber man muss trotzdem klare Ansagen treffen: „Ich bin zurzeit aus diesem und jenen Grund nicht in der Lage zu führen. Daher übergebe ich meine Vertretung an XY.“ Dann kann die Belegschaft diese Zeiten überbrücken und das Chaos abfangen.
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verlassen sich immer auf die Führung ihres Leitwolfes. Wenn dieser unabgesprochen seine Führung einstellt, hören auch sie auf zu „funktionieren“. Eine Übung während einer Firmenklausur demonstrierte diesen Effekt sehr anschaulich:
Wir waren aufgefordert, gemeinsam zu trommeln. Wie nicht anders zu erwarten war, richteten sich alle nach dem Rhythmus ihres Leitwolfes. Als ich stoppte, stoppten auch sie. Erst als wir besprachen: „Ich werde aufhören, aber macht trotzdem weiter!“, fanden sie wieder einen neuen gemeinsamen Rhythmus ohne mich.